Lena

Morgen mit Lena

Poch, poch, poch.

Lena weckt mich. Sie haut mir dazu mit einem leeren Gurkenglas auf den Kopf. Es funktioniert, ich kann tatsächlich nicht mehr schlafen und schaue sie etwas übermüdet an. Meine Tochter ist so clever. Sie bleckt ihre sieben Zähnchen und greift sich meine Oberlippe, um sie sich mal ganz aus der Nähe anzusehen. Als es anfängt, sehr wehzutun, sage ich "Ey Lena. Nich machen!"
Sie blickt mich kurz ernst an, schüttelt dann langsam den Kopf und macht weiter.

Sie denkt wahrscheinlich: "So eine Memme." Dann setzt sie sich mit ihrer schweren duftigen Windel auf mein Gesicht und streckt ihre Arme auf meinem Bauch aus. Sie singt dazu "Ja, nee, ja, nee, ja, nee.". Ich stehe auf und beschliesse, sie morgen erst um 12 ins Bett zu bringen.
"Anziehen, Lena? Ja?"
"Ja."
Lena rennt los in den Flur und holt ihre Jacke. Sie zieht sich die Jacke direkt über den Schlafanzug und möchte sofort zum Kindergarten gehen.
"Nee, Lenchen, erst die Hose."
"Ja."
Während ich ihr die linke Socke anziehe, zieht sie sich sorgfältig die rechte wieder aus. "Fuss." stellt sie fest. "Oh." Sie hat aber auch süsse Füsse.

Ich mache ein Breichen. Baby-Müsli aus dem Bioladen, aus glücklichem Getreide und überglücklichen Rosinen. Von den Nüssen ganz zu schweigen. Das Zeug schmeckt wirklich ganz gut, man sollte es gar nicht glauben. Lena sitzt schon ganz gespannt auf ihrem Hochsitz und haut mit zwei Löffeln auf den Tisch. Ich bringe der Dame ihr Schüsselchen und will ihr in aller Demut einen Löffel wegnehmen.
Sie schreit "Meine Affe!" und wird sehr böse. Ich denke mir, das ist ja nicht so schlimm, soll sie doch mit zehn Löffeln essen. "Ja Lena, dein Löffel." Lena grunzt zufrieden und fängt an zu essen.

Auf dem Weg zum Kindergarten treffen wir zwei lustige Bauarbeiter. Der eine hält eine grosse Tute hinter dem Rücken und tutet damit, als eine Schulkindergruppe auf der anderen Strassenseite vorbeiläuft. Die Kinder gucken erschrocken zu uns rüber und die Bauarbeiter tun gesprächig. Lena ist ganz begeistert über die Aufmerksamkeit und möchte sofort die Tute haben, damit die Kinder nicht wieder weggucken. Der Bauarbeiter zwinkert seinem Kollegen verschwörerisch zu, weil der Joke so gut geklappt hat.

Auf meinem rechten Arm, der inzwischen richtig stark geworden ist, trage ich Lena zu Getränke-Hoffmann rein. "Stark" heißt in dem Zusammenhang, daß ich Lena, selbst wenn sie Hoppa-Hoppa-Reiter spielt, auf meinem rechten Arm von Josi die ganze Brehmestraße runter bis zu mir tragen kann, während ich sie auf meinem linken Arm gerade mal bis zu der verdächtigen neuen Bäckerei Wollank Ecke Brehme schaffe. Jedenfalls kommen wir bei Getränke-Hoffmann an und Lena will runter. Recht soll's mir sein.
Ich gebe meine leeren Schnapsflaschen ab und will ein paar neue holen, da stürmt Lena auf einmal an mir vorbei, Richtung Ausgang, einen Bounty-Riegel fest in der Hand und offensichtlich zu allem entschlossen. Doch sie hat nicht mit der geschulten Fachverkäuferin von Getränke-Hoffmann gerechnet. Die holt sie noch auf der Verladerampe ein und entreißt ihr die Süßware. Bei der darauffolgenden Bergpredigt (Lena steht etwas weiter die Rampe runter) nickt Lena die ganze Zeit einsichtig mit dem Kopf, sagt immer "Ja." und zeigt nebenbei beharrlich auf den Schokoriegel.

Ich bringe Lena schnell in den Kindergarten. Heute, mit knapp einem Jahr, hat sie das erste Mal geklaut. Werd ich mir mal aufschreiben.

Lenesisch

Meine Oma behauptet, die Intelligenz hätte sich in direkter Linie von ihr auf ihre Urenkelin vererbt, ohne sich dabei allzusehr bei meiner Mutter und mir aufzuhalten. Ich vermute, auch die Haare und die Zähne haben diesen Weg genommen.
Lena spricht schon sehr viel aber das kann natürlich nicht jeder verstehen. Ich werde mal versuchen, ein paar Sätze Lenesisch für euch zu übersetzen:
"Mi? Ja?" bedeutet "Bitte, holst Du mir ein Fläschchen leckere Milch? Ich weiß, es ist 4 Uhr nachts, aber ich habe ziemlichen Appetit und Du hast doch gerade nichts vor und schnarchst nur rum."
"Mi!" bedeutet "Hol einfach sofort Milch."
"Bumm! - Kapot." bedeutet meist nichts Gutes.
"Willi!" oder "Belle!" bedeutet da ist der coole Onkel Philip.
"Ja." bedeutet meistens "Ja, das hättest Du vielleicht gerne."
"Ne." bedeutet ungefähr dasselbe.
"Hamas" bedeutet Zahnbürste.
Und dann gibt es noch "Tutut". Das bedeutet "Dort drüben steht ein wunderschönes Dreirad. Ich will sofort darauf fahren. Hilf mir nicht, oder doch, aber nur, wenn ich im Buddelkasten feststecke und geh ja nicht weg, sondern guck zu." Wenn man sich Mühe gibt, kann man das auch verstehen.

Leguane

An einem Sonntagnachmittag im November gehen wir ins Aquarium am Zoo. Lena findet alles sehr beeindruckend und sagt bei jedem Fisch sehr feierlich "Oh". Tadeus und Jacob, die beiden großen, sind begeistert von den Leguanen. Eigentlich komisch, die liegen total tot rum und machen gar nichts. Tadeus findet Leguane trotzdem cool und ist eine Minute später selbst einer. Das bedeutet vor allem, dass vor dem Verzehr von Pommes Frites auf dem Nachhauseweg geklärt werden muss, ob Leguane überhaupt Pommes essen. Falk erklärt uns mit fachmännischer Miene, dass es das Hauptnahrungsmittel von Leguanen ist und das passt ja sehr gut, denn der ehemalige kleine Junge Tadeus mochte Pommes auch sehr gerne. Und zwar mit Mayo und Ketchup.

In der S-Bahn kriechen die Leguane Tadeus und Jacob unter die Sitze und tauchen gelegentlich zwischen den Beinen der Mitfahrer auf. Das finden Lena und Mira sehr gut und krabbeln hinterher. Danach begibt sich eine kleine Leguan-Kolonne auf allen Vieren den Gang herunter.
Das ist sogar Lena zu peinlich.
Tadeus ist überhaupt nichts mehr peinlich, er kriecht sehr konzentriert herum sagt zu einem Fahrgast, der unbedingt was Leguan-feindliches sagen muß: "Pass auf, dass der Leguan dich nicht beisst!" Damit hat er die Sympatien der S-Bahn-Tierfreunde endgültig auf seiner Seite.
Lena hat in der Zeit die Bonbons aller Fahrgäste eingesammelt.

Wenn Lena anfängt, ein Leguan zu sein, werde ich das sehr gut finden. Es gibt viel zu wenig Leguane, die auf dem Bahnhof Friedrichstraße unter Lebensgefahr die Treppe zur S1 runterkriechen.
Ich werde Lena erläutern, in welcher Position Leguane schlafen, daß sie gerne von Papa gekochte Suppe essen und daß auch Leguane im Kindergarten Mittagsschlaf machen müssen. Und wenn jemand was gegen Leguane sagt, werden wir ihn beißen müssen.