Alex goes shopping

Die Geschichte des Einkaufens ist eine Geschichte von Missverständnissen.
Heutzutage werde ich von einem ominösen "Verbraucherschutzministerium" davor geschützt, Sachen zu verbrauchen, die mir mein Augenlicht, meine Potenz oder sogar meinen Verstand nehmen. Die wirklichen Verkäufer sind gar nicht die schnauzbärtigen netten Damen hinter dem Tresen, sondern glattrasierte Angestellte des agrar-industriellen Komplexes, die genau wissen, was für ein explosives Gemisch sie mir da verkaufen wollen. Ihr einziges Ziel ist die unsichtbare Kostenminimierung. Ob mir von den Designer-Tomaten die Haare ausfallen, ist absolut unwichtig, solange ich es nicht beweisen kann. Wenn ich den Tabak nicht selber anbaue, ernte und rolle, pumpe ich mich mit jeder Zigarette voll mit Chemie, die mich unauffällig süchtig machen soll.
Das habe ich im Kino gesehen.
Ihr seid gewarnt: Man versucht euch zu bescheißen, mit allen Tricks. Man bedient sich aller technischer Möglichkeiten und ich wette, keiner von euch möchte wissen, was wirklich in der Teewurst ist. Tee ? Wo wir gerade davon reden, was haltet ihr von der Idee, aus Tiermehl Schulmöbel herzustellen? Wer clever ist, macht jetzt zu Hause Experimente mit Tiermehl. Es locken jede Menge Patente und ein Berg von 400.000 gemahlenen Kuh-Kadavern.

Ich trage meine neue Küchenmaschine unterm Arm und denke "Mann, Alex, Du bist der dümmste Scheißidiot, den's gibt! Du bist einfach zu dumm. Kein Mensch braucht dieses Monster, Du am allerwenigsten. Oder hast Du etwa nicht zwei starke Hände, mit denen man ganz prächtig Gemüse raspeln kann?" Ich kann zwar gerade meine Hände nicht erkennen, sie sind hinter dem riesigen Karton, der in 9 Weltsprachen die Funktionen meiner neuen Braun Multipractic95 beschreibt, aber ich schätze, sie sind noch da.
"Morgen spätestens ist das Teil kaputt." denke ich. Also: Rechnung und Karton aufheben, den kaputten Häcksler mit der Post verschicken, 5 Wochen später was ganz anderes zurückbekommen, einen Toaster z.B., einen kaputten natürlich, Post-Nachforschungsantrag, Versicherung, Gericht, Verzweiflung, Falten auf der Stirn, die ganze Palette.
Ich könnte heulen. Ich fühle mich wie der letzte degenerierte Konsum-Heini. Meine Wurzeln liegen im Osten, in dem Land, in dem Konsumgüter per Parteitagsbeschluß in Transformatorenwerken und Aluverhüttungskombinaten hergestellt wurden. Bitteschön. Aber die einzige Ost-Küchenmaschine, von der ich wüsste, ist der 2 kg schwere "Multi-Boy" von AKA, der trotz "Multi" im Namen eigentlich nur ein Schüsselchen Püree auf einmal herstellen kann. Ein sympathisches, kleines, unprätentiöses Stück Küchenelektronikschrott. Der steht bei uns im Schrank und jetzt komme ich mit diesem poppigen West-Sonnenscheinchen daher, mit diesem "Food Processor", diesem "Robot da Cucina", diesem "Kuchonnui Kombain". Unserem kleinen Multi-Boy wird es das kleine Transformatorherz brechen. Angekommen im Westen, würde Alexander Osang sagen.
Zu Hause begrüßt mich Scheffi mit großem Jubel. Er hat nicht solche Probleme mit dem Konsum. Gemeinsam raspeln wir 3 Gurken in 10 Sekunden und ich versuche Baby-Brei zu pürieren, aber im Püree sind nach 10 Minuten immer noch lauter Mohrrübenklumpen. Seitdem habe ich das 129-DM-Maschinchen nie mehr benutzt.

Es gibt verbilligten Gesternkuchen bei Bäcker Johns. Es gibt verschiedene Kekssorten, die mich alle nicht so sehr reizen und es gibt hochgesunde Brotkreationen, die einem preismäßig jedoch nicht gerade hinterhergeworfen werden.
Neulich war ich da, um irgendeinen gefüllten Kuchen zu kaufen. Ich war ein bisschen erkältet, es war ein gleißend heller Montagnachmittag und ich stand in der Schlange zwischen einer unscheinbaren Frau und einem bullbeißerischen Bauarbeiter, der sich die ganze Zeit die Torten ansah.
Während ich so dastand, blendete mich auf einmal ein güldener Strahl der gleißenden Sonne und ich musste auf einmal husten. Ich hielt mir so aus Gewohnheit die Hand vor den Mund, aber ziemlich nachlässig, das gebe ich zu. Jedenfalls spritzte es dabei irgendwie so richtig aus meinem Mund raus, über alle Kuchen, die gefüllten und die ungefüllten, die mit Marmelade und die mit Pflaumenmus. Es war ein feiner, giftiger Sprühregen, der sich langsam aber bestimmt auf alle süßen Backwaren von Bäckerei Johns legte.
Oh. Die Bäckerin hatte nichts gesehen, sie stand gerade mit dem Rücken zu mir und meiner Keimwolke. Die Frau neben mir verzog keine Miene. Behutsam drehte ich mich zum Bauarbeiter um, aber der ließ sich ebenfalls nix anmerken. Jetzt war ich im Dilemma. Sollte ich ehrlich sein? Schuldbewusst den ganzen Laden aufkaufen? So á la "Entschuldigung, ich habe gerade versehentlich ihren Kuchen verseucht. Das bringe ich natürlich in Ordnung!" Aber ich hatte irgendwie gar keinen Appetit mehr auf den ganzen Kuchen. Und auch gar nicht so viel Geld. Also kaufte ich einen Schusterjungen und ging.

Früher schenkte sich meine Mutter ab und zu neue Schuhe für mich. Ich bekam einen Gutschein und meine Mutter fragte mich ganz scheinheilig: "Dürfen wir Dich beim Kaufen begleiten ?"
Was sollte ich sagen? Mein Vater durfte Chauffeur spielen und uns zum Schuhladen fahren. Dort saß er dann die ganze Zeit mit betont gleichgültiger "Ich-hab-alle-Zeit-der-Welt"-Miene in der Ecke und las sein mitgebrachtes Buch. Wenn er fertig war, begann er Hausarbeiten zu korrigieren. Ich glaube, mein Vater hat sich wirklich nie gelangweilt. Meine Mutter zog los und ließ mich ganz unbeeinflusst wählen.
Mir gefiel keiner der Schuhe. Stabile Schuhe wollte ich, handgenäht, haltbar für die Ewigkeit. Nie mehr Schuhe einkaufen. Geschmack hatte ich noch nie. Wenn ich mir mal allein Schuhe ausgesucht hatte, war noch das beste Urteil, das ich darüber hörte "Sehen aus wie Papischuhe". Meinem Vater gefielen die Schuhe auch tatsächlich immer sehr gut.
Als ich alle Schuhe auf ihre Naht an der Sohle untersucht hatte, war ich deprimiert. Es gibt heutzutage keine brauchbaren Schuhe mehr. Manchmal von Camel, aber als ich mal zu meiner Mutter sagte "Ich will Schuhe von Camel." fuhren wir auf eine 3-stündige Odyssee von Laden zu Laden. Als wir endlich fündig geworden waren, kauften wir die brauchbarsten der angebotenen Botten. Ich wollte eigentlich lieber meine alten Schuhe weitertragen, aber meine Mutter schwor heilige Eide, dass ich in diesen schäbigen Schuhen Junggeselle bleiben würde. Das wollte ich nicht.
Nach meiner Mutter teilen sich die 2.5 Milliarden Frauen dieser Welt in solche, die als erstes auf die Hände sehen, und dann auf die Füße und die, die es andersherum machen. Keine Chance für Fingernägel-Knabberer in Papischuhen wie mich.
Als wir endlich abzogen, trug ich meist eine Tüte mit Schuhen aus dem Laden. Meine Mutter bezahlte an der Kasse und ich trauerte jedem einzelnen Pfennig nach. Das war die Zeit, in der ich alles in Döner umrechnete. 40 Döner. Nicht schlecht.

Letzte Woche war ich bei "1000 Dinge für eine Mark", hier wollte ich immer schon mal rein. Ich brauchte eine ganze Weile und musste mehrmals von vorne zu zählen anfangen, aber endlich schleppte ich stolz meine 24 vollen Einkaufskörbe vor die Verkäuferin mit den schönen, ummalten Augen. Ich hatte darin alles, was das Herz begehrt, niedliche Porzellanhunde mit Mützchen, Blumenkränze, Schraubenzieher-Sets und eine orange Vase, Handy-Hüllen und Feuerzeuge mit Musik, einen batteriebetriebenen Tischwasserfall, Mundspray und sogar ein nützliches Auszieh-Backblech, falls man mal einen größeren Ofen kauft. Soll vorkommen.
Ich lege meine Mark auf den Tresen, und tue so, als warte ich auf den Bon. Die Verkäuferin sieht mich an wie eine Erscheinung. Ich denke "Na jut." und sage: "Is wat?" Und sie "Ja. Wat soll'n dit wer'n, wenn's fertich is?" und ich "Na 1000 Dinge und hier is die Mark, oda haickma fazehlt?" Die Verkäuferin versucht erfolglos ein Lächeln. Dann wird sie ernst und sagt "Witzich, räumse dit ooch wieda ein?" und ich "Nö" und sie "Wat'n soll ickit etwa machn?".
Irgendwie begann sich unsere Unterhaltung im Kreis zu drehen, mir wurde es langweilig und ich bin dann gegangen.