Der Tod

Der Tod ist so alt wie das Leben selbst. Als die erste Uramoebe sich in der trüben Ursuppe erstaunt umblickte (wo sie natürlich nichts erkennen konnte) und ihre 3 Proteine hin- und hersortierte, auf der Suche nach ein wenig Spaß und Abwechslung im Leben, da löste sich aus dem großen Schatten eines Geröllbrockens ein ganz kleiner Schatten.
Es war ein schwefelbedeckter, rauchender Geröllbrocken, wie sie damals überall herumlagen, zu Trillionen, aber heute nicht mehr so oft. Der Schatten war eigentlich nur der Schatten eines Schattens, ein kalter Umriß einer Amoebe mit einer Sense in der Hand.
Es war der Tod.
Er senste sofort ein bisschen hier und da herum und löschte, sozusagen fast aus Versehen, für ein paar weitere Millionen Jahre das Leben auf der Erde wieder aus. Das war übrigens bis heute noch gar nicht bekannt Der Tod bekam einen kleinen Schreck und langweilte sich nun die ganze Zeit, was bekanntlich dem Charakter eher abträglich ist.
Der Tod ist böse.

Der Tod streift Tag und Nacht umher, auf der Suche nach Leben. Wenn er an ein Haus kommt, in dem jemand wohnt, der ihm interessant erscheint, legt er seine knochige Hand für eine ganze Weile an die Wand, direkt neben der Tür, aber er klingelt nicht etwa. Er spürt jedem pulsierenden Lebenszeichen nach, jedem Laut und jeder Bewegung im Haus. Er saugt sie auf, in kalter Vorfreude. Wenn man dann genau hinsieht, zeichnet sich auf dem Mauerwerk für einen Moment eine kalt rauchende Spur seiner Hand ab. Dann macht er drei unsichtbare Kreuze auf die Wand und geht zur U-Bahn, um einen jungen Menschen vor den Zug zu schubsen.

Als ich einmal mit Falk joggen war, in der Schönholzer Heide, hatte sich der Tod gerade auf dem Weg ausgestreckt und wartete auf Egon Krenz, der hier manchmal mit seinem geklonten Leibwächter spazieren ging. Als ich dann vorbeiraste, 22 Jahre alt und extrem sportlich, war er gerade eingeschlafen und schreckte hoch, als ich ihm mit meinem Adidas-Turnschuh in die Rippen trat Er führ auf und ging mir an die Gurgel. Er wusste für einen Moment nicht, ob ich Egon Krenz bin. Ich spürte sofort ein Stechen im Herzen und musste stehen bleiben. Ich hatte große Angst Der Tod strich mit seinen langen Knochenfingem an mir herauf und herab und ließ dann auf einmal von mir ab. Meine Mutter sagte mir später, dass es Herzschmerzen gar nicht gibt, aber ich wusste es besser. Wir haben uns eine Weile nicht wiedergesehen, erst als ich im Elbsandsteingebirge an einer viel zu schweren Wand hing und meine Hände sagten: So das war's, wir machen diesen Quatsch nicht mehr länger mit, da hing er mir plötzlich an den Beinen. Er jauchzte und schüttelte sich und wollte mich in die Tiefe ziehen, aber ich fiel nicht
Der Tod wiegt nicht viel.

Wenn wir sterben, gehen wir ein in das Reich der Schatten. Wir werden zu Erde, Rauch, Kanonen- oder Löwenfutter und unsere Unterschrift unter jedem unsere Briefe kräuselt sich schmerzhaft zusammen wie der abgeworfene Schwanz einer Eidechse. Wir geben mit einem Hauch alles hin, unsere Träume, ob erfüllt oder unerfüllt, ob realistisch oder utopisch. Die Menschen, die uns kannten und annahmen, sagen, sie tragen uns im Herzen weiter, sie meinen es sogar ernst, aber in Wirklichkeit sagt sich alles von uns los, sogar die Tapeten an den Wänden. Der Nachmieter streicht alles ocker an und schmeißt unsere Auslegeware irgendwo bei Schildow in die Landschaft, wenn gerade keiner guckt.

Wenn man sich tot stellt, um die Arbeitskollegen zu schocken, dann ist der Tod auch mit von der Partie. Man liegt regungslos unter der Werkbank oder dem Schreibtisch und freut sich über die Mund-zu-Mundbeatmung der Sekretärin und der Tod sitzt einem unzüchtig auf dem Bauch und schaukelt vor- und zurück, wie auf einem Schaukelpferd. Es ist alles echt, und wenn man mit dem Spiel nicht rechtzeitig aufhört, muß sich der Chef einen neuen Mitarbeiter suchen. Wie bei den vielen Leuten, die im Kindergarten aus Spaß geschielt haben und wo sich dann von hinten jemand angeschlichen und geklatscht hat. Zack.

Wenn der Tod bei euch vorbeischaut, müsst ihr sehr beschäftigt tun. Am besten, ihr sagt ,,Ach, das ist aber ein schönes Wetterchen heute, da werde ich mal an den Liepnitzsee fahren."
Wenn ihr euch dann schnell ein Handtuch schnappt, euch aufs Fahrrad schwingt uns losfahrt, habt ihr eventuell eine Chance.