Drei Wochen vorher sage ich also noch zu Scheffi, der mit einem Glas hochprozentigem Drink in der Hand auf Myrgos Couch räkelt: "Wir haben bald Zuwachs hier. Ein Häschen." Ich versuche dabei möglichst überzeugt und optimistisch zu klingen. Wäre ja nicht das erste Mal, daß Werbung was bewirkt. Scheffi kann sich aber gerade nicht von Arabellas Brüsten losreißen und macht irgendeine Handbewegung wie: Geh weg! oder so. Na immerhin, eine Reaktion. Aber aus der Computerecke schallt es: "Na ganz große Klasse! Hier kommt der mir nicht rein, der kackt mir nur den Teppich voll!"
Myrgo ist nämlich Vegetarier und kann mit Tieren nicht so sehr viel anfangen. Myrgo hatte für eine Weile eine Kiwi im Käfig bei sich im Zimmer. Die hieß Nelson Mandela und durfte da in ihrem Zuhause frei herumtollen, und was Kiwis sonst noch so gerne in ihrer Freizeit machen. Rumfaulen zum Beispiel. Er hoffte, sie würde eines Tages sprechen lernen. Machte sie aber nicht. Seitdem ist Myrgo so still und zurückgezogen. Wenn ich mal groß bin, erfinde ich eine Kiwi, die spricht und auch Küßchen gibt, damit Myrgo wieder lacht. Aber ohne Mundgeruch, das werde ich genetisch verhindern.
Übrigens, was nur ich weiß, Myrgo ist in Wirklichkeit Agent für die Russen, und wenn er so vor dem Computer sitzt, späht er heimlich internationale Datennetze aus. Nur, wenn ich mich leise von hinten anpirsche, um ihm über die Schulter zu sehen, schaltet er irgendwie, mit dem Fuß oder so, auf Pornobilder um. Zur Tarnung.
Als jedenfalls der Hase drei Wochen später in seinem Körbchen angereist kommt, ist die Aufregung groß. Alle waren selbstverständlich von Anfang an dagegen gewesen, sogar ich. Die Stimmung ist direkt hasenfeindlich. Ich glaube, der einzige Grund das Joe bei uns bleiben darf ist, daß Scheffi auf einmal einfällt, daß man mit Kaninchen prima kleine Mädchen beeindrucken kann. Man hält das Tier einfach ganz locker und guckt nett.
Das Mädchen, vierzehn, nähert sich ahnungslos und verfällt dann, beim Anblick des niedlichen Geschöpfes, sofort in einen unbändigen Streichelkrampf. Dieser hält auch an, wenn man jetzt den Hasen vorsichtig entfernt. Zack!
Vielleicht geht auch Myrgo soetwas durch den Kopf, langsam versiegen die Argumente und Scheffi schneidet direkt das Namensproblem an. Der Hase ist schwarz wie Pech, da kann er nicht mehr viel Glück mit seinem Namen erwarten. Der unschlechteste Vorschlag ist noch Roy Black. Was sonst noch angeboten wird, ist nichts für kleine Hasenohren.
Während er uns seine Hakensprünge vorführt, wahrscheinlich damit wir denken "Oh man, ein toller Typ!", machen wir uns daran ihn hinterrücks Schißhase oder Osterhase zu taufen. Wir kommen uns sehr witzig vor. Uns soll das Lachen schnell vergehen.
Der Osterhase ist nämlich deshalb ein Osterhase und kein Oster- zum Beispiel Schwein, weil Schweine deutlich sichtbar und stolz kacken, während Hasen überall kleine, schwer zu ortende Eier verstecken. Das sollte jeder angehende Hasenzüchter rechtzeitig bedenken.
Am Ende nennt jeder den Hasen wie er will. Ich nenne ihn Joe Black, weil ab jetzt alle Hauptfiguren bei mir Joe heißen, und weil Bad Pitt in "Rendezvous mit Joe Black" so sexy seinen, ansonsten ja doch ein wenig bekloppten, Text aufgesagt hat. Ich bin jedenfalls sehr dankbar, daß unser Hase mich verschont hat mit Sätzen wie: "Was soll jetzt werden? - Ich weiß es nicht, es wird sich zeigen!" oder "Ich bin neu hier in der Stadt und suche eine Frau, aber vielleicht habe ich sie ja schon gefunden."
Joe bezieht wenig später sein dreietagiges Luxusappartement in meinem Zimmer. Das unterste Stockwerk ist so eine Art Kloake, die ich immer sauber machen muß. Das ist sehr schleimig und eklig, und ich schiebe es immer vor mir her, bis Myrgo droht, den Tierschutzverein zu benachrichtigen. Der alte Ökoterrorist wieder. Das ist eindeutig Erpressung, aber seit ich sein Fahrrad kaputt gemacht habe, traue ich mich nicht mehr, ihm Paroli zu bieten.
Zum Essen verläßt Joe seinen Palast und geht ins Restaurant "Hinter dem Schrank", um meine Tapete aufzuessen.
Manchmal ißt er auch die teuren Möhrchen, die ich ihm bringe, aber eher mir zu Liebe. Als ich schon denke, er ist doch hoffentlich keines dieser Wesen aus "Raumschiff Enterprise", die, statt auf Kohlenstoff, auf Tapetenkleister basieren, läßt Scheffi eines schönen Tages seine Zimmertür zu weit offen. Joe ist in Sekundenbruchteilen an Scheffis Gummibaum. Während ich noch hin und her gerissen bin zwischen Mitleid und Schadenfreude, senkt sich das erste Blatt zu Boden. Oh, das geht ja schnell.
Ich lasse ihn das noch beenden und nehme ihn und die zwei Blätter dann schnell zu mir, so muß ich wenigstens keinen Löwenzahn mehr holen. Joe und ich werden ein Team. Immer wenn Scheffi mit Jaset flirtet oder wegen ausgetrunkener Milch nörgelt oder mich nur schief anguckt, nagt Joe ein bißchen weiter am Bein seines Hochbettes. Dafür verrate ich keinem, daß er das ganze Ofendämmaterial herausgeholt hat und sich eine gemütliche Höhle unter dem Ofen eingerichtet hat. Ich sag mal so: Wenn man sich einen Killer mietet, sollte man nicht entsetzt sein, wenn der auch in seiner Freizeit Leichen hinterläßt. Ist halt ein Killer.
Die weitere Geschichte ist schnell erzählt. Joe lernt mit einem halben Jahr sprechen und erklärt Myrgo die Aufgabenzettel von "Höhere Mathematik für Ingenieure III". Als Myrgo sein Vordiplom doch noch schafft und Joe, mit den Jahren ergraut, beginnt, sich ein bisschen gebrechlich zu fühlen, sieht er sich nach einem Alterswohnsitz um. Er zieht in einen Kindergarten und läßt sich den ganzen Tag den Nacken von unermüdlichen Kinderhänden kraulen.
Was will man mehr als Ghettohase?