WG-Report Nummer 3

Kämpfzeit.
Tadeus kommt in mein Zimmer und springt auf mein Bett. Er hat sich mit zwei Seilen bewaffnet, die er hinter sich herschleift wie ein böser Gladiator. Wortlos fallen wir übereinander her.
Es ist schwierig, sich mit so einem kleinen Spacki zu kloppen, man will ja nichts kaputtmachen. Tadeus stellt beim Ringen laut keuchend ständig neue Regeln auf. Ich darf ihn nicht an den Beinen hochheben und auch nicht das Seil festhalten, mit dem er gerade auf mich einprügelt.
Der Reihe nach wird mir verboten: Kitzeln, die Hände festhalten, ein Kissen auf den Kopf hauen, ihn ansabbern. Eigentlich darf ich jetzt nur noch wie ein Opfer schreien und über die Angriffe mit seinen Zauberseilen jammern. Nach zehn Minuten bin ich besiegt. Tadeus ist zufrieden und ein bisschen stolz und stellt sich in Siegerpose auf mein Bettende.
"Alex, weißt Du, wieso ich so stark bin?"
"Nein Tadeus, aber bitte verrate mir doch Dein Geheimnis!"
"Ich bin so stark, weil ich jetzt immer Fußball spiele!"
Tadeus schlägt lässig ein Bein über das andere wie ein Fußballer, verheddert sich dabei in der Bettdecke und fällt rückwärts vom Bett.

Das Konzept eines WG-Reports, lieber Leser, ist natürlich stets die schonungslose Enthüllung. Eine kleine Morgen-Anekdote an den Anfang zu stellen ist in Ordnung, doch das lüsterne Publikum will sicher mehr, pikante Details aus dem Privatleben meines Mitbewohners Falk und natürlich kübelweise Spott. So nach dem Motto "Erst dachte ich, Falks Unterhosen sehen alle gleich aus, aber dann habe ich bemerkt, dass er nur eine hat." oder "Falk trinkt morgens seinen Karo-Kaffee nur aus selbstgetöpferten Kruken, die aussehen, wie aus einer Werkstatt für gewaltbereite blinde Jugendliche mit nur einer Hand."

Aber ich darf und kann Falk einfach nicht so in den Rücken fallen.

Ich kann und darf aber an dieser Stelle mal meinem tiefen Unbehagen gegen die Bezeichnung WG Ausdruck verleihen. Das hat einen ähnlich netten Klang wie WC. Mein Mitbewohner Falk mag das Wort Mitbewohner nicht, er sagt, es klingt genauso wie Mitesser. Falk führt übrigens eine kleine Liste mit Unworten, seine Highlights sind: Originalkopie, Kostenanschlag, Kostenverfolgung, Kostensprengung oder Kostenexplosion, Wanderbaustelle, Einsatzmultifunktionsstab (sprich Gummiknüppel), Massengedanke und bewegliche Feste (sprich Pfingsten oder Ostern). Und oft sitzen wir uns in der Küche bei Kerzenlicht gegenüber wie Platon und Sokrates und sagen nur Unwörter, wobei wir nicken und den Kopf schütteln in einem fort. "Kollateralschäden." Schüttel. "Datenfeld." Nick.

So, nun habe ich aber doch ein großes Problem: Welche Bösartigkeit soll ich über meinen Mitesser in die Welt setzen? Falk ist resistent gegen meine Niedertracht, er hat keine schlechten Angewohnheiten, außer vielleicht seiner giftgrünen Mütze, die in den Wintermonaten das ganze Viertel in Angst und Schrecken versetzt. Diese Mütze leuchtet nachts und am Tage wie ein verstrahlter Knollenblätterpilz. Leute, die neben Falk stehen bekommen ganz fahle Gesichter und man kann ihre Knochen durch die Haut schimmern sehen. Er meint dazu nur unbekümmert, dass man ihm die Mütze wenigstens nie klaut, sondern immer hinterherträgt. Falks Freundin muss ihn sehr lieben, sie lässt sich mit ihm und seiner Mütze auch in der Öffentlichkeit sehen.

Ist es erwähnenswert, dass Falk durchsichtige Plastikbüchsen sammelt wie andere Leute Meißner Porzellan? Auch Plastiktüten beschließen bei uns einen gemütlichen Lebensabend. Unser einziges IKEA-Mobiliar ist der unglaubliche Plastiktütenbehälter "Oslo", ein Monster, das hungrig an der Rückseite der Speisekammertür auf leckere leere Plastiktüten lauert. Wenn es den nicht schon gäbe, hätte Falk ihn erfunden, so hat er ihn in einem Anfall von "Du siehst es - Du willst es - Du kaufst es - Du vergisst es" gesehen, gewollt, gekauft und sofort vergessen. Ein Halbzylinder aus transparenter Plaste, mit Löchern in der Seite, aus denen man seinen Tütenfavoriten bequem herausziehen kann. Die spinnen die Finnen (Schweden? Ja, die auch.).

Als Falk im Kampf um die stilvolle Einrichtung seines Zimmers irgendwann endgültig kapitulierte, schmückte er seine Tapeten konsequent mit Lebensmittelwerbungen aus der Zeitung.
Manchmal stand er dann versonnen vor den blutigen Fleischstücken an seiner Wand wie ein Urmensch vor seinen Höhlenmalereien und freute sich immer über den unverhohlenen Abscheu seiner wenigen verbliebenen Freunde. Dann kam der Tag, an dem die Spar- und Edeka-Werbungen auf einmal verschwunden waren, bis auf ein paar Fetzen an den Stellen der Wand, wo sie einmal geklebt hatten. War Falk über Nacht zum Spießer geworden? Nein, er hatte nur beschlossen, die Wand mit den Plastik-Innereien von Konfektschachteln und Kekspackungen zu tapezieren. Das Ergebnis ist womöglich noch scheußlicher, aber dämmt wenigstens ein bisschen die Wärme.
(Falk ergänzt: Auch der Lärm, den ich angeblich auf dem Klo mache, wird gedämpft.)

Und doch: Wenn Falk nicht da ist, heizt keiner meinen Ofen und ich muss frieren, meine Wäsche vergammelt im Korb und das Brot liegt ohne Tüte herum und versteinert. Ich wasche mich nicht mehr und esse nur noch Pudding, den er mal gekauft hat.
Mein Mitesser und ich sind nach nur einem halben Jahr unzertrennlich geworden. Vielleicht sieht ja die Ehe der Zukunft so aus, Fremdgehen ist o.k., Falk nimmt sich sogar jeden Mittwoch einen Fremdgehtag, der Haushalt flutscht nur so und in seiner anspruchslosen Art lacht Falk sogar über meine tauben Witze. Das einzige, was uns noch trennen kann, ist wohl die Liebe zu seiner Freundin Anne. Ich denke oft daran, dass sie mal einen tragischen Unfall haben könnte oder so. Aber wahrscheinlich stirbt die Arme eher an Augenkrebs wegen der Mütze.

Dann gehört mein Mitesser ganz mir.